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Schönheit braucht Häßlichkeit

Der Bariton Thomas Hampson über die Ästhetik des Gesangs, den Wandel in Salzburg und die Fehler des Regietheaters

Thomas Hampson hat gemeinsam mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt eine neue Arien-CD aufgenommen. Darauf singt er, wozu er Lust hat: Mozart, Beethoven, Schubert und Haydn. Seine Stimme gilt als schönster Bariton der Welt. Und auch in seiner Wahlheimat Wien hat es sich Hampson hübsch eingerichtet: rote Sofas, teure Vasen, edle Teppiche und ein silbernes Service.

Welt am Sonntag: Herr Hampson, schön haben Sie es hier. Wie wichtig ist Ihnen das?
Thomas Hampson: Zu Hause habe ich es gern gemütlich – und, ja, auch schön. In der Kunst ist die Gegenüberstellung wichtig. Schönheit braucht das Häßliche, um wahrgenommen zu werden. Wenn ich ein Lied wie Schuberts “Lindenbaum” singe, soll es natürlich schön klingen, gleichzeitig muß da aber auch die verdorrte Seite durchschimmern. Schönheit bedeutet für mich in erster Linie technische Brillanz.

Manchmal wird Ihnen der Schöngesang vorgeworfen – dann ist vom “Zuckergußsänger” zu lesen.
Hampson: Na ja, so eine Aussage fasse ich nicht als Kritik auf. Zumal ich meine Stimme ganz anders einschätze – ich bin kein “beautiful monster”, kein “Monster der Schönheit”. Wenn Gustav Mahler in der Partitur fordert “schreien”, dann nehme ich das ernst. Auf der anderen Seite bin ich aber auch bereit, in Schönheit zu baden. Wohlwissend, daß das Schöne keine eigene Existenz hat. Ich verstehe Schönheit als Zustand.
In meinen Gesangsklassen empfange ich Schüler gern mit dem Satz, daß die Grundlage für eine eigene, charaktervolle Stimmentfaltung die individuelle Definition der Schönheit ist. Und diese Definition des Schönen ist zu einem der größten Kämpfe geworden, den wir derzeit führen.

Und wer hat die Deutungshoheit?
Hampson: Die Beurteilung von Schönheit hat sich vom Ohr in die Augen verschoben, von der Akustik zur Optik. Wir leben in einer Welt aus Geräuschen, wandeln in unserem Alltag durch Rock-, Klassik- und Elevator-Musik. Unser akustisches Einordnungssystem ist verletzt. Und da greifen wir gern auf visuelle Reize zurück, bei denen wir uns sicherer fühlen. Deshalb werden die Schönheit und der Ausdruck einer Stimme weniger geschätzt. Zumal es immer mehr Intendanten und Regisseure gibt, die nicht musikalisch ausgebildet sind. Sie verlassen sich eher auf die Persönlichkeit einer Stimme als auf ihr Gestaltungspotential und ihre Gesundheit. Dann setzt sich vielleicht sogar der Glaube durch, daß ein raffinierter Regieeinfall den Gesang ersetzen kann.

Ist das Regietheater denn ein Feind des Schönen?
Hampson: So pauschal kann man das nicht sagen, aber ich beobachte immer öfter, daß Regisseure das singende Wesen nicht mehr kennen – und sich vor seiner emotionalen Kraft fürchten. Gleichzeitig setzen immer mehr Orchester auf Originalinstrumente und Partiturtreue. Aber in der Oper leben wir eben in einer vordergründigen, theatralen Zeit und trauen der Musik als eigenständige Sprache nicht mehr. Ich empfinde oft nicht einmal mehr Rührung. Dabei wissen wir spätestens seit Richard Gere seine Julia Roberts in “Pretty Woman” mit zu “La Traviata” genommen hat, daß Tränen der eigentliche Zauber der Oper sind.

Bei den Salzburger Festspielen werden Sie auch in “La Traviata” auf der Bühne stehen. Neben Rolando Villazon und Anna Netrebko – das ist auch sehr schön.
Hampson: Und warum ist die Vorstellung so gut nachgefragt? Weil die Leute schöne Stimmen hören wollen! Es ist ja nichts dagegen zu sagen, daß eine “Traviata” mit drei großen Namen gegeben wird. Aber hinter einer sehenswerten Produktion steckt doch mehr! Ich weiß bis heute nicht, was der Regisseur Willy Decker vorhat – er ist ein kluger Mann, aber ich kenne seine Gedanken nicht.
Es gehört nicht mehr zum guten Ton, die Sänger über die Regieidee zu informieren. Das Bühnenbild für den Salzburger “Don Giovanni” 2002 habe ich zum ersten Mal auf der ersten Probe gesehen, obwohl ich inständig gebeten habe, es vorher sehen zu dürfen. Am Ende kommt es noch so weit, daß man bei einer Produktion Sänger engagiert, die das Publikum anziehen und alles andere unwichtig ist. Das fände ich unseriös!

Werden Stimmen schöner, wenn sie älter werden?
Hampson: Mit der Stimme ist es so wie mit gutem Wein: Sie reift mit der Zeit. Meine eigene Stimmentwicklung ist sicherlich mit meiner persönlichen Entwicklung verbunden, und das hört man auch. Aber ich glaube, unsere schnellebige Gesellschaft neigt immer mehr dazu, nur noch die neuen, die spektakulären Stimmen zu feiern. Da geht es der Oper wie dem Golf: Erst hatten wir Tiger Woods, nun haben wir Michelle Wie, und irgendwann werden wir ein achtjähriges Golf-Wunderkind feiern. Wir suchen den rosa Elefanten, der Tuba spielt. Mit Schönheit hat das herzlich wenig zu zun.

Seit ein Dietrich Fischer-Dieskau ein neues Bariton-Bild geschaffen hat, scheint sich die Definition von Schönheit gewandelt zu haben.
Hampson: Die hat sich sogar bei Fischer-Dieskau gewandelt: Sein Schubert war manchmal pure Schönheit, dann wieder kraftvoll, dann kam der Philosoph durch, danach der weltmüde Künstler. All diese Facetten sind schön – besonders wenn man sie innerhalb eines Lebenswerkes betrachtet.

In den 50er und 60er Jahren mit Sängern wie Maria Callas und Mario Del Monaco stand die Schönheit noch nicht im Vordergrund des Gesanges, sondern die Emotion.
Hampson: Callas hat Emotionen durch die außergewöhnliche Schönheit ihres Gesanges vermittelt. Und Del Monaco hat mich immer beeindruckt, weil in seiner Stimme immer die Gefahr des Grenzganges und des Scheiterns zu hören war. Wie anders hat Elisabeth Schwarzkopf gesungen: Sie hätte niemals die gesunde Gesangsgrenze auf Kosten der rührenden Schönheit beleidigt.

Auf Ihrer CD singen Sie unter anderem Mozarts Arie “Ich möchte wohl der Kaiser sein” – das klingt auch bei Ihnen ziemlich brachial.
Hampson: Weil Nikolaus Harnoncourt mich überzeugt hat, daß in dieser überheblichen Möchtegern-Arie die Rauheit, die Willkür und das aufbrausende Wort zur Geltung kommen müssen. Für mich ist die Schönheit eng verbunden mit der Gestaltung der Worte. Deshalb habe ich mich lange nicht an Komponisten wie Brahms gewagt. Um seine Lieder zu singen, muß man erst einmal die Stimme als eigenes Instrument begreifen.
Bei seinen schönsten Liedern könnte es sogar egal sein, ob die Melodie von einer Oboe, einer Flöte oder einer Stimme vorgetragen wird. Denn das Wort und seine Bedeutung lösen sich im Inhalt der Musik auf. So komisch es klingt, dafür fehlte mir bislang der Mut. Aber ich spüre, daß er kommt – und das finde ich nun wirklich schön.

Dieser Artikel erschien bei welt.de.