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Liebe zu komplexen Figuren, die das menschliche Dilemma verkörpern

Thomas Hampson rundet seinen Konzerthaus-Zyklus mit zwei Mahler-Recitals ab und singt an der Seite Renée Flemings in Jules Massenets Oper “Thaïs. An der Wiener Staatsoper ist er erstmals Amfortas.

Bei einer Porträt-Serie mit Thomas Hampson als “Artist-in- residence’ muß Mahler natürlich dabei sein. An zwei Abenden im Rahmen seines Konzerthaus-Zyklus gestaltet der ausdrucksstarke Sänger einmal mit Klavier, einmal mit dem Ensemble Wiener Virtuosen frühe Lieder, die Lieder eines fahrenden Gesellen sowie Ausgewähltes aus Des Knaben Wunderhorn.

“Ich bin sehr dankbar, daß ich das noch einmal machen kann’, erklärt der Star-Bariton, der damit zu einer seiner ureigenen Domänen zurückkehrt. “Ich entdecke immer wieder Neues – bei Mahler, bei mir selbst. Das ist immer ein unsagbar lebendiger Dialog, in den ich gerne immer wieder hineingehe.’ Zudem bietet Thomas Hampson Fassungen, wie er sie in Wien noch nie gesungen hat, etwa Arnold Schönbergs Version der Lieder eines fahrenden Gesellen für klein besetztes Kammerensemble. Bei anderen Liedern, bei denen man üblicherweise die Orchesterfassung zu hören bekommt, wählte Hampson – begleitet von Wolfram Rieger – die Fassungen mit Klavier.

Und da ist man mit dem Mahler-Experten und -Liebhaber schon mittendrin in einem Gespräch über die Unterschiede und Eigenheiten dieser Fassungen. Wobei Hampson dezidiert vorausschickt, daß die Klavierlieder in keiner Weise nur als Vorstufe zu den Orchesterfassungen gesehen werden dürften, beide stellten bewunderungswürdig gestaltete, aber auch grundlegend verschiedene Welten dar: “Mahler hat das jeweils sehr ausgefeilt notiert und editiert. Der Unterschied: In der Orchesterfassung sind mehr Leute beschäftigt, der Dialog wird zuweilen zum Rundgespräch. Aber nie darf der subtile Dialog summierend verschwinden, nie das Gespräch übertönt werden. Andererseits ist etwa im Rheinlegendchen der Text sehr wichtig, aber man muß auch den skurrilen, lieben Dialog zwischen Flöte und Horn hören. Das hat nichts mehr mit Begleitung zu tun. Und die Klavierfassung soll nicht wie ein Orchester gespielt werden, aber ich sage immer, bei einem Klavierlied von Mahler sind drei Leute auf der Bühne, die rechte Hand, die linke Hand und der Sänger.’

Forschungsergebnisse. Im Rahmen eines Projekts in Zusammenarbeit mit seiner HAMPSONG-Foundation hat der Bariton sich an der kritischen Mahler-Neuausgabe maßgeblich beteiligt und wichtige Forschungsergebnisse mit ermöglicht. Bezüglich der Lieder seien zwei wesentliche Punkte herausgekommen: Nichtsdestotrotz der in den Gedichten oft verankerten Dialogform sollten die Mahler-Vertonungen narrativ von einer Person gesungen werden – es sollten nicht Duette daraus werden. Das zweite ist die schon erwähnte Gleichwertigkeit von Klavier- und Orchesterfassungen. Zu wünschen wäre, so Hampson, daß die Forschung sich noch vertiefend mit dem geistigen Hintergrund Mahlers befaßt, bei dem etwa Jean Pauls Philosophie und dessen Verhältnis zu Wort und Metapher grundlegend waren. Und dann sei es auch sehr wichtig (und sehr schwierig), die Problematik der vielen Markierungen, Hervorhebungen und Anmerkungen Mahlers in den eigenen und in Partituren anderer richtig darzustellen: “Handelt es sich da um aufführungspraktische Hinweise und Verdeutlichungen, oder künstlerische Weiterentwicklung? Warum hob Mahler zum Beispiel in einer Partitur von 1896 fünf Jahre später andere Dinge hervor?’

Bei der Mahler-Interpretation warnt Hampson vor überzogenen Deutungen: “Gerade bei den Wunderhorn-Liedern behält Mahler den naiven Tonfall wunderbar bei und unterstreicht ihn noch. Die Sprachdarstellung in der Musik bewahrt die Direktheit, die profunde Vordergründigkeit der Emotion und des menschlichen Dilemmas, das diese so genannten Volksgedichte beinhaltet.’

Operngala. Ein Event der ganz besonderen Art verspricht die konzertante Aufführung von Jules Massenets im Jahr 1894 uraufgeführten Oper Thaïs zu werden, für deren Zustandekommen unter Mitwirkung der in Wien selten auftretenden Star-Sopranistin Renée Fleming sich Hampson auch persönlich engagiert hatte: “Ich bin mit Renée Fleming und den Dirigenten Michel Plasson sehr eng befreundet. Aber der wichtigste Punkt: Fleming, Plasson und Hampson lieben Massenet und glauben an diese Oper. Es ist uns ein Anliegen, sie immer wieder aufzuführen. Es ist das faszinierende Werk eines Meisters. Ich halte sehr viel von Massenet, er ist zu Unrecht nach dem Erscheinen Debussys in der Wertschätzung abgerutscht. Zu seiner Zeit war Massenet ein ebenso geschätzter Komponist wie Verdi. Und Gounod und Thomas war er in der Entwicklung der Formensprache und in der psychologischen Genauigkeit überlegen und eigentlich schon sehr nahe an Debussy.’

Die Oper spielt in Ägypten zur Zeit des noch jungen Christentums. Nachdem es dem Mönch Athanael gelungen ist, die Venuspriesterin Thaïs zur Umkehr zu Gott zu überreden, verliebt er sich in sie und gerät dadurch selbst in einen schweren Zwiespalt. Das ist natürlich eine Figur, wie sie Thomas Hampson gerne verkörpert: “Ich bin mehr und mehr überzeugt, daß Oper als Kunstform weniger mit Handlung zu tun hat als mit der Fähigkeit, uns in ein Dilemma zu versetzen. Mir sind von meiner Natur her komplexere und nicht ganz gelungene Helden sehr nahe. Ich suche mir Figuren aus, die ein gewisses Dilemma, einen Widerspruch in sich haben, die sich entwickeln. Der Eugen Onegin ist hier ein perfektes Beispiel, am Ende ist er ein anderer geworden, als er am Anfang war. Und das Gleiche könnte man auch über Boccanegra sagen.

Amfortas. Ein weiterer großer Opernabend mit Superstar-Besetzung ist im Juni an der Wiener Staatsoper programmiert. In drei Vorstellungen verkörpert Hampson hier erstmals den vom Leid gepeinigten Amfortas; als diesen erlösender Parsifal ist kein Geringerer als Plácido Domingo angekündigt, Waltraud Meier singt die Kundry, dirigieren wird Christian Thielemann. “Eine ehrenvolle Aufgabe. Mit Thielemann, mit dem ich schon musiziert habe, Wagner zu machen, freut mich ganz besonders und natürlich auch, mit Plácido und Waltraud gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Beide sind gute Freunde von mir, aber wir haben noch nie alle drei zusammen bei einer Produktion gesungen. Ich steige mit viel Kraft und Energie in das Projekt hinein und werde auch versuchen, das Konzept der Regisseurin Christine Mielitz so gut ich kann zu verstehen und darzustellen.’

Viel gefragt und vielseitig. Hampson singt derzeit in Paris den Mandryka in Strauss’ Arabella, glänzte bis vor kurzem noch mit Verdi’s Un Ballo in Maschera in London und bereitet sich auf den Amfortas hier in Wien vor, gibt Liederabende und Konzerte. Persönlich empfindet er sein Engagement in unterschiedlichen Repertoirebereichen als organisch und logisch: “Meine Beschäftigungen, meine Engagements liegen immer in Bereichen, die mir sehr nahe liegen und in denen ich glaube auch wirklich etwas dazu anbieten zu können. Daß ich immer wieder zwischen Liedgesang und Oper wechsle ist mir schon klar, ich versuche die Sachen auch gut auseinander zu halten. Was ich mache, singe, kommt aus meinen Interessen heraus. Von ÇFach’ in der Oper will ich wirklich nichts wissen, es geht um das, was mich interessiert zu singen und wozu ich mich stimmlich und theatralisch in der Lage fühle.’

Im Mozartjahr beschränkt sich Hampson auf die Salzburger Don Giovanni-Wiederaufnahme und Konzerte mit Mozart (unter Muti). “Ich habe Figaro so oft gesungen, in den frühen Jahren meiner Karriere sogar damit angefangen, auch Guglielmo, das ist jetzt vorbei.’ Über ein Da-Ponte-Projekt bei der Ruhrtriennale, für das ihm Gert Jonke einen Monolog geschrieben hat und über die Programmierung der von ihm kuratierten Salzburger Pfingstfestspiele 2007 will Thomas Hampson erst reden, wenn die Sachen wirklich spruchreif sind.
Heinz Rögl

Thomas Hampson im Wiener Konzerthaus

Mahler-Lieder I
Freitag, 3.6., 19.30 Uhr
Thomas Hampson (Bariton), Wolfram Riegler (Klavier)

Mahler Lieder II, Schönberg
Montag, 6.6., 19.30 Uhr
Thomas Hampson (Bariton), Wiener Virtuosen

Massenet
Thaïs (konzertante Aufführung)
Besetzung: Renée Fleming (Thaïs), Thomas Hampson (Athanael)
Radio-Symphonieorchester Wien, Wiener Singakademie I Michel Plasson
Sonntag, 12.6., 19.30 Uhr