Press

Singen ist Extremsport

Thomas Hampson zählt zu den herausragenden Baritonen unserer Zeit. Seit 1984 gastiert er mindestend einmal pro Jahr in Zürich.

Worüber soll man sehr staunen? Über Thomas Hampsons sängerische Vielseitigkeit, über seine stilistische Versiertheit oder über seine künstlerische Geradlinigkeit, die nur eines zum Ziel hat: die Kultur des Gesanges zu bewahren? Eine Kultur, die er von seinen renommierten Lehrern übernommen hat, von Horst Günter und von Elisabeth Schwarzkopf. Seit seinem Europa Début 1981 in Düsseldorf hat sich der Sänger, der im US-Bundesstaat Washington aufwuchs, eine beispiellose Karriere aufgebaut und gilt längst als der führende Bariton im lyrischen Fach – auf der Opernbühne wie auf den bedeutendsten Liedpodien in der ganzen Welt. Das Opernhaus Zürich war seit 1984 ein Fixpunkt in seiner Karriere und ist es geblieben bis heute: In Zürich habe man ihm Chancen gegeben wie nirgends sonst, was er dem damaligen Intendanten Claus Helmut Drese verdanke; gleichzeitig habe man ihn sorgfältig aufgebaut.

Diese souveräne Aufbauarbeit vermisst Thomas Hampson im heutigen Opernbetrieb. Die Opernszene steht stark unter kommerziellem Druck. Entsprechend schwierig ist es geworden, künstlerische Argumente durchzusetzen. Zudem gibt es heute mehr Sänger als früher. Warum also soll sich ein Intendant wirklich um den Aufbau eines Sängers kümmern? Er besetzt ihn vielleicht für einige Zeit und nimmt dann den nächsten. Thomas Hampson liess sich nicht verheizen, sondern achtete schon früh in seiner Karriere darauf, behutsam mit seinen gesanglichen und gestalterischen Fähigkeiten umzugehen, um sie ein ganzes Leben lang zu erhalten. Warum soll ein Sänger nicht mit sechzig oder siebzig Jahren noch singen?

Fit hält er sich mit Sport. Thomas Hampson, selber eine Erscheinung von sportlicher Übergrösse, träumt davon, einmal ein Golftunier zu gewinnen. Er sieht eine enge Verwandtschaft zwischen dem Singen und dem Sport. Singen ist Extremsport, der mit Körperbewusstsein und Muskelkraft zu tun hat, und dies auf der Grundlage eines natürlichen Trainings. Man muss wissen, wie der eigene Körper funktioniert, was die Stimme aushält und was nicht. Diese reine sport-körperliche Dimension beim Singen werde vielfach unterschätzt. Leider ist es heute so, dass junge Sängertalente immer wieder zu früh zu Partien überredet werden, die sie rein physisch überfordern.

Thomas Hampson hat sich stets Zeit gelassen und sukzessive sein Bühnenrepertoire erweitert. Von Rossini und den grossen Mozart-Opernpartien zu Verdi und Wagner, zu Richard Strauss, Busoni und Henze. Wichtig sei, sagt er, dass man warten könne, dass man sich nicht in Versuchung führen lasse. Verdis Falstaff, die grosse Traumpartie eines jeden Baritons, wurde ihm bereits 1989 angeboten. Doch erst jetzt sei die Zeit dafür gekommen: Im Dezember 2005 wird Thomas Hampson an der Wiener Staatsoper sein Début als Sir John Falstaff geben. Ich bin ein Mensch, der sehr genau plant und immer ein Ziel vor Augen hat. Das hat weder mit Egoismus noch mit Optimismus zu tun, sondern hilft einfach dabei, seinen Weg zu finden.

Beruht also die eigene Karriere auf einer klug vorausschauenden Planung? [i]Falls ich das in aller Bescheidenheit von mir sagen darf: Wenn ich überhaupt etwas richtig gemacht habe – und ich habe einiges falsch gemacht -, dann war es dies, dass ich stets hart mit mir selber war. Von Anfang an achtete ich darauf, und das gilt bis heute und gilt auch für die Zukunft, dass die sensible Seite meiner Stimme nicht durch mein Opernrepertoire gefährdet wird. Liedgesang war mir deshalb immer sehr wichtig.

Längst hat sich Thomas Hampson in der Fischer-Dieskau-Nachfolge als führender Lieder-Bariton seiner Generation etabliert. Obwohl er sich als “Theaterviech” bezeichnet, als einen, der gern spielt und sich gern verkleidet, ist Thomas Hampson felsenfest davon überzeugt, dass ein Sänger beides machen sollte, Lied und Oper. Dass er überhaupt alles singen sollte, was er kann, von Bach bis zum Broadway. Jeder Mensch habe die unterschiedlichsten Möglichkeiten in sich, und eine der elementarsten Vorraussetzungen für einen Künstler sei es, für die unterschiedlichsten Impulse empfänglich zu sein und die ganze Bandbreite des Repertoires in seiner Stimme zu spiegeln. Einem Opernsänger, der nie Lieder singt, fehlen gewisse Aspekte, die man als Opernsänger haben muss. Und das Umgekehrte gilt genauso! Liedgesang hat nichts mit Säuseln oder nur auf Tönen Sprechen zu tun, denn auch beim Lied geht es um menschlichen Ausdruck im Gesang. Ich habe den Ehrgeiz diese Tradition aufrecht zu erhalten.

Keine Frage, Hampson ist ein intellienter Sänger mit Format. Das äussert sich in Skepsis gegenüber dem postmodernen Regietheater. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Regisseur Martin Kusej anlässlich der Salzburger Festspielproduktion von “Don Giovanni” im Sommer 2002 wurden in der Presse genüsslich breit getreten. Völlig übertrieben und völlig absurd, kommentiert Thomas Hampson im Rückblick.

Werk als oberste Instanz

Kann es für einen Sänger dennoch hinderlich sein, wenn er überdurchschnittlich intelligent ist? Ich weiß nicht, ob es eine Frage von Intelligenz ist, aber es kann ein Nachteil sein, wenn man sich immer mit allem auseinandersetzen will, was einen beschäftigt. Als Sänger musste ich lernen, mich nur dort einzubringen, wo es auch wirklich um mich geht. Es dürfte ihn beispielsweise nichts angehen, wie ein Intendant sein Opernhaus führe. Denn im Opernbetrieb gebe es eine feste Hierarchie. Wie sieht diese denn aus? Zuoberst der Dirigent, dann der regisseur und dann der Sänger? Oder zuoberst der Regisseur? Ein heikles Thema, sagt Thomas Hampson, aber seine Meinung ist klar: Oberste Instanz ist immer das Werk. Alle Beteiligten haben diesem Werk zu dienen. In der Kunstgattung Oper stehe der Komponist zuoberst in der Hierarchie; der Librettist sei eher sein Zudiener und Partner. Folglich ist Oper primär eine musikalische Gattung, und sie hat hauptsächlich mit Gesang zu tun und weniger mit Handlung. Die Handlung kann banal sein – aber ein Ensemble, selbst in einer Lortzing-Oper, ist nie banal, sondern ist eine musikalische Manifestation zwischenmenschlicher Emotionen. Dabei kann es um intimste persönliche Momente gehen und gleichzeitig um grösste sozialgeschichtliche Themen, um Lebenserfahrung und Psychologie. Das macht den Reiz der Oper aus. Gefährlich indes werde es, wenn ein Schauspielregisseur – selbst wenn er ein Faible für Musik habe – die Musik nicht als eine autonome Sprache verstehen könne und deshalb vorrangig die Handlung oder das Bild inszeniere.

Man muss aufpassen, welche Oper sich dazu eignet und welche nicht. Bei dem Thema kommt Hampson in Fahrt: Diese penetrante Suche nach dem Neuen ist für mich ein Markenzeichen unserer Gesellschaft und gleichzeitig die Definition von Langeweile. Ich finde diese Tendenz im Kulturbetrieb sehr gefährlich. Nur aus der eigenen Langeweile heraus an Meisterwerken herumzuexperimentieren und zu behaupten, dass man selber noch gescheiter sei – da bin ich schon sehr skeptisch. Das hat nichts mit reaktionärem Traditionismus zu tun oder mit Anti-Avantgarde. Im Gegenteil, ich liebe die Avantgarde und bin stets mit Freuden bereit, alles Neue auszuprobieren. Aber ich bin nicht bereit, mich wie ein Allwissender über ein Meisterwerk zu stellen.

Viel lieber wäre ihm, wenn neue Werke geschaffen würden. Der Kern des Problems ist, dass keine dieser unglaublich neuen, angeblich so aufregenden Inszenierungen die Gesangskultur auch nur einen kleinen Schritt vorwärts gebracht hat. Meistens ist beim Regietheater sogar das Gegenteil der Fall: Es geht auf Kosten der Gesangskultur. Diese Kultur hochzuhalten, hat sich Thomas Hampson zur Lebensaufgabe gemacht; das schildert er so: Nichts ist mir wichtiger und rührt mich mehr als dieser irreale Moment, wenn Gesang zur Wahrheit wird, wenn ein Sänger völlig im Gesang aufgeht. Denken sie an Piero Cappuccilli oder Edita Gruberova! Das hat rein gar nichts mit Ego oder künstlerischer Selbstdarstellung zu tun, sondern ist genau das Gegenteil: Die Auflösung des Egos im Gesang.

Was die Regie anbelange, müsse das nicht unbedingt in “choreographischen Ästhetizismus” ausarten, wie man dies Jean-Pierre Ponnelle zuweilen vorgeworfen habe. Dieser Vorwurf ist völlig falsch. Ponnelle hat das Gesangstheater um entscheidende Schritte vorwärts gebracht. Ich vermisse ihn fast jeden Tag. Es ist ein teuflischer Gedanke, was wohl mit unserer Opernwelt wäre, wenn Ponnelle nicht inszenieren würde.

Zürich ist speziell

Thomas Hampson lernte Jean-Pierre Ponnelle am Zürcher Opernhaus kennen, wo er seit 1984 jede Saison auftrat. Weshalb ausgerechnet Zürich? Zürich ist speziell. Zürich war damals das einzige Haus, das mir italienisches Fach angeboten hat. Der Intendant Claus Helmut Drese hat mir Chancen gegeben und hatte Respekt vor meiner künstlerischen Einstellung wie damals kein anderer Intendant.

In Zürich kam es auch zur Begegnung mit Nikolaus Harnoncourt. Sie führte zum längst legendären Mozart-Zyklus mit Ponnelle. Diese Jahre von 1984 bis zu Ponnelles Tod 1988 – mein Début bei den Salzburger Festspielen 1988 war seine Inszenierung von “Le Nozze di Figaro” – sind sozusagen mein künstlerisches Fundament. Alles, was später kam, baute auf jenem Fundament auf. Auch mit Alexander Pereira bin ich gut befreundet; er hat mir immer wieder interessante projekte angeboten. Ich habe grossen Respekt vor ihm: Er ist einer der letzten “Dinosaurier” unter den Intendanten, einer, der wirklich noch den Gesang ins Zentrum der Oper stellt.